erschienen im Spiegel (Februar 2022) (Link)
Renata Salles tanzt seit ihrem 22. Lebensjahr, trat für viele der großen Sambaschulen auf – im Hintergrund. Nun hat sie ihren Traum verwirklicht: Salles, 35, trans Frau, ist Königin der Gruppe Bangay, der ersten queeren Sambaschule von Rio de Janeiro. Fast alle Teilnehmenden sind LBGTQI, also lesbisch, schwul, trans oder anders queer.

Renata Salles, eine der Königinnen von „Bangay“
Für die Proben fährt die Friseurin zwei Stunden lang vom einen Ende der Stadt ans andere. Nach zwei Stunden Probe geht es wieder zurück, doch das ist es ihr wert: »Bangay ist für mich wie ein Schrei der Freiheit! Wir müssen uns nicht verstecken! Wir trans Frauen können auch Musen und Königinnen sein!«
Renata Salles ist trans Frau, Friseurin und die »Königin« von Bangay, der ersten queeren Sambaschule von Rio de Janeiro
Doch Salles weiß, dass sie noch viele Vorurteile überwinden muss. Erst vor zwei Tagen wurde sie auf der Straße in Rio von zwei Fremden attackiert. »Ich war in einer Bank. Als ich wieder rauskam, begannen zwei junge Männer auf der Straße, mich zu schubsen.« Andere Passanten haben ihr dann geholfen.
In Brasilien gibt es die meisten Morde an queeren Menschen
Auch wenn die brasilianische Metropole Rio de Janeiro als bekanntes Reiseziel etwa für schwule Männer gilt, ist es hier immer noch gefährlich, queer zu sein. Mehr als 250 Menschen starben vergangenes Jahr in Brasilien nach LGBTQI-feindlichen Angriffen. Das ist ein trauriger Spitzenwert weltweit. Brasilien ist katholisch geprägt, und besonders auf dem Land gilt ein konservatives Männerbild.
In einer queeren Sambaschule wie Bangay zu tanzen, ist daher ein ziemlich mutiges Unterfangen. Zwei Wochen vor ihrem großen Auftritt proben die Tänzerinnen und Tänzer ihren Umzug. Die Prinzessinnen in den knappen Kostümen sind trans Frauen. Der König ein schwuler Mann. Das Singen und die Ansagen macht eine Frau. Bei den großen Karnevalsumzügen von Rio sind die Genderrollen sonst klassisch verteilt.

Als die Gründerin von Bangay, Sandra Andréa dos Santos, die Gruppe 2016 etablierte, waren die ersten Auftritte hart: »Es gab Leute, die haben von oben auf uns runtergepinkelt, uns mit Bier bespritzt. Manche haben uns an den Haaren gezogen.« Mehr Respekt bekamen sie erst, als Bangay eine richtige Sambaschule wurde, vor einem Jahr. Ihr Hauptziel war dabei jedoch nicht der Kampf gegen Homophobie.
80 bis 90 Prozent der Helfenden beim Karneval sind queer
»Wir sind keine Gay-Pride-Parade, wir sind eine richtige Sambaschule«, sagt Tiago Rosa, künstlerischer Leiter von Bangay. Es gehe ihnen nicht um Toleranz, sondern um Gerechtigkeit. Denn den großen Karneval von Rio gäbe es nicht ohne die Queer-Community. In den Sambaschulen sind 80 bis 90 Prozent der Helfenden queer. Die Ideen für die Wagen, die Kostüme, vieles komme von ihnen. »Aber wenn es so weit ist, bleiben wir beim Umzug oft in den hinteren Reihen gefangen oder dürfen gar nicht mitlaufen«, erzählt Tiago.
Die Bedeutung der queeren Menschen für den Karneval bleibt so unsichtbar. Im Samba-Museum der Stadt werden sie nicht erwähnt. Doch langsam ändert sich das. Seit ein paar Jahren achten die Sambaschulen auf mehr Diversität unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Sambódromo, der großen, berühmten Arena der Karnevalsumzüge in Rio de Janeiro.
Queere Samba-Berühmtheiten werden mit einem eigenen Wagen gewürdigt, zum Beispiel Leci Brandão, eine berühmte brasilianische Samba-Komponistin, Sängerin und Politikerin, die sich als lesbisch outete. Wenn es nach Bangay geht, sollten queere Personen nicht die Ausnahme sein. Sie sollten – wie alle anderen – in der ersten Reihe auftreten.
Königin Renata Salles jedenfalls sieht sich mit ihrer Sambagruppe auf dem richtigen Weg. Im Moment benötigt die Schule vor allem Geld. Von der Stadt erhält sie nur die Mindestförderung für Sambaschulen, 22.000 Real (rund 4000 Euro) im Jahr. Fast alle hier arbeiten freiwillig und ohne Gage. »Wir brauchen einen guten Sponsor. In fünf Jahren werden wir beim großen Karnevalsumzug im Sambódromo dabei sein«, sagt Salles, »ihr werdet noch viel von uns hören.«
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