Foto: Im Favela-Komplex Alemão bedankten sich Studierende im Oktober 2022 bei Lula und schwenkten ihre Uni-Shirts (Foto nachgestellt)
Deutschlandfunk / Januar 2023
Seit Sonntag ist Lula da Silva wieder Präsident von Brasilien. Besonders Studierende feierten den Machtwechsel. Die letzten Jahre unter Präsident Bolsonaro waren hart für sie. Was Studierende in den letzten Jahren erlebt haben – dazu hat sich Carsten Wolf in Rio de Janeiro umgehört.
Unter meiner Regierung wurden die Tore der Universitäten für alle geöffnet, auch für die Armen. Junge Weiße, Schwarze und Indigene, für die das Studium ein unerreichbarer Traum war. Sie können heute ihren Doktortitel machen.
Das sagte Brasiliens Präsident Lula am Sonntag bei seiner Rede zum Machtwechsel. Die Worte Lulas gaben wohl auch vielen Studierende im Land Hoffnung. Sie hatten in den letzten Monaten kein Geld mehr bekommen aus den staatlichen Stipendienprogrammen – besonders Arme, Schwarze und Indigene. Betroffen ist zum Beispiel die 28-jährige Priscilla Borges. Sie studiert Zahnmedizin in Rio:
Sie haben die Stipendien stark gekürzt. Es gab Leute, die in den letzten Monaten gar nichts mehr bekommen haben. Bei mir haben sie die Materialien nicht länger bezahlt, die ich fürs Studium brauchte.
Priscilla ist eine besondere Studentin. Sie ist Schwarz und kommt aus der Favela – und sie studiert an einer der renommiertesten Unis von Brasilien, der Universität UFRJ. In ihrer Familie ist sie die erste, die studiert. Und nicht nur in ihrer Familie, vielleicht in der ganzen Favela – an der Uni kennt sie sonst niemanden aus ihrem Stadtteil. Für sie waren die letzten Jahre unter Bolsonaro besonders hart.
In meinem Studium mache ich 12 Stunden am Tag Zahn-Behandlungen, von früh um 7 bis abends um 7. Eigentlich bezahlt mein Stipendium alle Kosten. Aber seit sie die Mittel für unsere Fakultät gekürzt haben, zahlen wir Studierenden die Betäubungen für die OPs selbst. Auch die Materialen für den Zahnersatz. Alles in allem muss ich zwischen 300 und 400 Euro pro Semester aus der eigenen Tasche bezahlen.
Im letzten Monat von Bolsonaros Amtszeit bekamen etwa 100.000 Studierende kein Geld mehr vom Staat – das ist etwa die Hälfte aller Studierenden mit Stipendien. Auch bei den Geldern für die Universitäten wurde drastisch gekürzt: 30 Prozent weniger bekam Priscillas Universität, die renommierte UFRJ in Rio. Insgesamt wurde die Ausgaben für höhere Bildung in Brasilien in den letzten sieben Jahren um 40 Prozent heruntergefahren – besonders stark unter Bolsonaro, so die Wissenschafts-Organisation, „Observatorio do Conhecimento“. Manche Universitäten konnten daraufhin nicht mal mehr ihre Stromrechnung bezahlen.
Es gab keine Putzkräfte mehr bei uns. Also haben wir Studierenden unseren Müll immer in die Tasche gesteckt und zuhause in den Müll geworfen. Die Wachleute an der Uni haben zwar weiter gearbeitet, aber ohne Bezahlung. Alle mussten irgendwie mithelfen, damit es überhaupt weitergeht.
Priscilla ist noch aus einem weiteren Grund besonders: Ihr Bild ging im Wahlkampf durch alle Medien in Brasilien. Damals besuchte Lula ihre Favela, den Complexo do Alemão, eine arme Favela-Gegend im Norden von Rio. Und Priscilla entschloss sich mit ihrer Cousine zu einer spontanen Aktion. Sie hielten ihre T-Shirts mit dem Uni-Logo aus dem Fenster – als Zeichen der Dankbarkeit, dass sie es geschafft haben, zu studieren. Auch dank Lulas Bildungspolitik. Er war gerührt von der Geste und bedankte sich bei den beiden.
Einige schrieben dann im Netz, dass sei inszeniert gewesen. Besonders Bolsonaro-Fans verbreiteten die Fake News, dass wir bezahlt worden seien. Dass wir gar nicht studieren würden. Denn es könne ja nicht sein, dass schwarze Frauen aus der Favela studieren.
Das Schlimmste am Bolsonarismus waren diese dauernden Angriffe.
Das sagt auch Tatiana Roque. Sie ist Mathematik- und Philosophie-Professorin an der Universität UFRJ in Rio.
Neben den Kürzungen waren es diese ständigen Angriffe. Es gab mehrere Bildungsminister unter Bolsonaro, die die Universitäten mit absurden Behauptungen attackierten. Zum Beispiel Abraham Weintraub. Er behauptete, an den Unis gebe es riesige Hanfplantagen und Christal-Meth-Labore. Und dass dort eine „dämonische Indoktrinierung“ stattfinde.
Bei öffentlichen Reden und auf Social Media griffen Bolsonaros Getreue die Universitäten als Orte des Kommunismus an.
Sie hetzten gegen Seminare zu Feminismus, zu den Rechten von Schwarzen oder Indigenen in Brasilien. Viele Professoren, die das unterrichteten, wurden massiv dafür angegriffen.
Und sie kürzten bei den Stipendien.
Dahinter steckte eine Strategie, um Universitäten wieder zu Orten der Eliten zu machen. Viele meiner Studierenden in der Mathematik mussten ihr Studium abbrechen. Besonders aus armen Familien und Schwarze Studierende. Einige brilliante Nachwuchs-Wissenschaftler:innen gingen ins Ausland. Ein Brain-Drain wegen Bolsonaro.
Die Mathematik-Professorin Tatiana Roque betont, dass die Kürzungen an den Universitäten schon vor Bolsonaro begonnen hätten. Auch Lulas Arbeiterpartei hatte ab 2015 massiv Gelder eingespart, im Rahmen von Brasiliens Austeritätspolitik. Immerhin habe jetzt die neue Regierung schon angekündigt, die Stipendien wieder zu zahlen.
Unter Lula wird vielleicht nicht mehr Geld da sein. Aber Bildung für alle wird wieder Priorität haben.
Diese Hoffnung hat auch die Zahnmedizin-Studentin Priscilla Borges.
Bis heute ist es schwierig für Leute wie mich, zu studieren. Seit Lulas Regierung ist es zwar immer noch schwierig – aber nicht mehr unmöglich.
Co-Sprecher*innen: Donata Hasselmann, Fabio Ghelli
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