Der Dino-Mann – Leben als Laienforscher

Erschienen in: Das Magazin, Sommer 2014

Der Dinosaurier-Forscher Klaus Weiß hofft sein ganzes Leben auf den Jahrhundertfund. Als er ihn endlich hat, will ihm keiner glauben. Ein Lehrstück über die Gräben zwischen Laienforschern und etablierter Wissenschaft

Der Taunus ist gar nicht da. Diese sanft geschwungenen Hügel, wo der Frankfurter Speckgürtel langsam in dichte, unberührte Wälder mit majestätischen Eichen übergeht. Wenn man die Augen schließt, sieht man das urzeitliche Meer, das hier gelegen hat, eine tropisch-schwüle Landschaft aus Tümpeln und Seen. Riesige Farne bedecken die Landflächen. Im Wasser tümmeln sich Fischsaurier, Krebse, Quallen und Schalentiere. Es ist die Zeit als Süddeutschland noch am Äquator liegt. Klaus Weiß beschreibt einem das, als wäre er selbst dabei gewesen. Der rundliche Mittfünfziger mit hessischem Akzent ist mit Leib und Seele Laienforscher.

Sein ganzes Leben sucht er schon nach versteinerten Dinosauriern, Urzeit-Haien, Krebsen und Vögeln. Ein Leben für die Wissenschaft. Zumindest ein halbes, denn eigentlich ist Klaus Weiß Aufzugsmonteur. In einem Frankfurter Werk überprüft er die Kräne, Aufzüge und Klimaanlagen. Die Firma hat schon schon länger auf Kurzarbeit umgestellt.

Aufzugsmonteur und Paläntologe

Sein Lebenssinn ist die Schatzsuche. Schätze, die die Natur ihm vor Jahrmillionen hinterlassen hat. Er will der erste sein, der sie sehen darf, wenn sie aus den Tiefen wieder ans Tageslicht kommen. Er ist ein Reptil auf dem Gebiet der privaten Urzeit-Forschung, »ein Trüffelschwein« nennt Weiß sich selbst»in Süddeutschland einer der Besten«, sagen Wissenschaftler über ihn.

Klaus Weiß steht im Museum, das er auf seinem Grundstück im hessischen Fischbach eingerichtet hat. Es ist nicht größer als eine Garage, aber voller unglaublicher Fundstücke: hunderte Ammoniten liegen in den Auslagen, dazwischen Plastikhaie, Walwirbel, Evolutionsstammbäume, grazile Quallen und funkelnde Quarze. Es ist nur ein Bruchteil seiner Sammlung, der Rest lagert in Museen.

Sein größter Moment. Beinahe hätte ihm keiner geglaubt

Mittendrin steht Klaus Weiß und kann zu jedem Stück, das man anfässt, eine Geschichte erzählen. Seine Geschichte. Besonders gern erzählt er von „Borsti“, dem versteinerten Dinosaurier, der hinter Zeitungsartikeln und Fotos im Regal steht. Es war sein größter Moment. Und beinahe hätte ihm keiner geglaubt

Vor 15 Jahren im Altmühltal. Die Sonne brennt. Eigentlich wollten sie Urlaub machen, aber jetzt kämpfen sich Klaus Weiß und sein Bruder Hans schon seit zwei Wochen durch die losen Kalkplatten im Steinbruch. Die Zeit drängt. In ein paar Tagen läuft die Pacht aus. Dann darf erst mal nicht weiter gegraben werden. Mit Brechstangen und Hebeleisen holen die beiden Brüder Kalksteinplatten aus der Wand. Dann teilen sie die Platten in kleinere Stücke und untersuchen sie.

Klaus Weiß trägt seinen verstaubten Bundeswehr-Overall und sitzt etwas weiter oben. In der einen Hand hält er einen Spalthammer, in der anderen einen Meißel. Aus den herumliegenden Bruchstücken zieht sein Bruder eine etwa 30 mal 30 Zentimeter große Platte und reicht sie Klaus Weiß. Der nimmt die Platte auf das Knie um sie zu begutachten. Es durchzuckt ihn. An der einen Seite der Platte erkennt er kleine Knochen. Die feinen Strukturen erinnern Weiß an einen Vogel, den er früher gefunden hat: Ich habe sofort erkannt, dass da was Gutes drin ist.

Klaus Weiß ruft seinen Bruder. Beide untersuchen das Stück. Noch ist die Platte »bergfeucht«, das heißt, sie ist noch dunkel von der Feuchtigkeit des Bodens. Aber in der Sonne beginnt sie schnell von den Rändern her zu trocknen. Nach zehn Minuten erkennen die beiden Brüder klar die Umrisse eines etwa hühnchengroßen Dinosauriers. Während die Platte weiter trocknet, rennt Klaus Weiß zur nächsten Telefonzelle.

Ist es ein Urvogel?

Die Hobby-Forschung hat in manchen Bereichen der Wissenschaft eine lange Tradition. Es gibt naturforschende Vereine und Verbände zur Erforschung der Regionalgeschichte. In Bereichen wie der Paläontologie, der Erforschung der Lebewesen vergangener Erdzeitalter, kommt die etablierte Wissenschaft ohne die forschenden Laien gar nicht aus. Auf einen professionellen Ausgräber kommen hier etwa fünf private. Mit viel Leidenschaft und großem Sachverstand stürzen sie sich ins Feld, wo die chronisch klamme Wissenschaft nicht hinkommt. Sie sind die Materiallieferanten des Wissenschaftsbetriebs und viele Profi-Wissenschaftler sind ihnen dafür dankbar.

Als die Platte ganz getrocknet ist, sind auch die Umrisse des Dinosauriers wieder verschwunden. Doch Klaus Weiß und sein Bruder sind sich ihres Fundes sicher. Sie haben ein vollständiges Skelett entdeckt. Ein Dinosaurier vielleicht oder gar ein Urvogel? Die meisten Urvögel, die bisher gefunden wurden, stammten aus dieser Gegend. Das nahe gelegene Jura-Museum in Eichstätt haben sie schon verständigt. Als sie dort ankommen, werden sie von mehreren Fernsehteams erwartet. Die Wissenschaftler vom Museum klopfen ihnen auf die Schulter. Klaus Weiß ist überglücklich.

Dann passiert erst einmal nichts. Freunde sagen: »Hättest du das Ding mal lieber verkauft.« Aber davon will er nichts wissen. Er gräbt für die Wissenschaft, nicht für das Geld, nicht wie Perner. Thomas Perner war ein früherer Grabungskollege von Weiß. Der hatte einen Fossilien-Handel eröffnet und war bekannt geworden, als er das versteinerte Urzeit-Äffchen »Ida« für geschätzte 600 000 Euro an ein Museum nach Oslo verkaufte. Die Museen hierzulande hatten den geforderten Betrag nicht aufbringen können. Mit so einer Geschäftemacherei will Klaus Weiß nichts zu tun haben.

Nach mehr als einem Jahr erkundigt sich Klaus Weiß, was denn nun aus dem Fund geworden sei. Man sagt ihm, dass das Stück zur Untersuchung in das Frauenhofer-Institut in Erlangen geschickt wurde. Mittels 3D-Computertomographie wolle man zuerst herausfinden, was in der Kalksteinplatte steckt, bevor man sich an die kostspielige Präparation mache. In Erlangen erfährt Weiß, dass das Röntgenbild nur ein Dino-Ärmchen gezeigt habe. Der Dinosaurier sei also unvollständig. Er habe sich geirrt.

Die Platte wurde zersägt

Weiß platzt der Kragen. In reinstem Hessisch beschimpft er die Wissenschaftler. Weiß ist sich sicher, dass er einen vollständigen Dinosaurier gefunden hat. Er hat ihn ja beim Trocknen gesehen. Doch die Wissenschaftler ignorieren seine Laien-Meinung. Sie sind stolz auf ihre neue Röntgen-Technologie und glauben nicht der Meinung eines »Hobbyforschers«. Zu allem Überfluss zersägen sie, als sie nichts finden, auch noch die Platte und damit den Dinosaurier.

Auch deshalb wollte Klaus Weiß nie Wissenschaftler werden: »Ich lass mir nicht gern was erzählen, ich lerne lieber in der Praxis.« Er kennt die Momente der Zurückweisung. Wenn Forscher einsilbig werden oder gar nicht erst mit Laien reden. In diesen Momenten könnte Weiß vor Wut platzen, denn hier werden die Gräben sichtbar, die Wissenschaftler um ihr Gebiet gezogen haben.

Den Laien fehlt der »professionelle Tunnelblick«. Das sei aber auch ihr größter Vorteil – sie hätten den »Blick auf´s Ganze«, so beschreibt es zumindest Peter Finke in seinem neuen Buch »Citizen Science – das unterschätzte Wissen der Laien«. Die Laien- oder Bürger-Wissenschaftler betrieben Wissenschaft, weil sie sich für Phänomene in ihrer unmittelbaren Umgebung interessierten. Diese zu erklären sei ihnen wichtiger als Spezialisierung und abstrakte Theoriebildung.

Klaus Weiß hat Recht behalten mit seinem Dinosaurier. Das Jura-Museum ließ sich überzeugen, die Platten weiter zu bearbeiten. Fünf Jahre lang dauerte die Präparation, weil der Kalkstein an dieser Stelle hart war wie Beton. Am Ende stand fest: Es ist ein Jahrhundertfund. Ein vollständig erhaltener Dinosaurier von einer völlig neuen Art und Gattung. So gut erhalten, dass sogar Hautreste nachweisbar waren. Er gilt bis heute als Europas besterhaltener Raubdinosaurier und war Fossil des Jahres 2009: Juravenator, der Jurajäger. Ein Millionenstück, wenn es in den Fossilienhandel käme.

Fossil des Jahres 2009 – ein Millionenstück

Es gibt viele Anerkennungen für die Arbeit von Bürger-Wissenschaftlern. Klaus Weiß hat schon das Bundesverdienstkreuz bekommen und die Zittel-Medaille der Paläontologischen Gesellschaft. »Privatsammler erhalten sogar häufiger Auszeichnungen als Wissenschaftler«, sagt Eberhard »Dino« Frey, Abteilungsleiter am Naturkundemuseum Karlsruhe. Damit werde ihre Leistung vor Ort gewürdigt. Seltsam findet der Experte es allerdings auch, dass Weiß bei der Namensgebung für den neu entdeckten Dinosaurier so gänzlich übergangen wurde.

Das war der Wermutstropfen im Moment des größten Triumphs im Leben von Klaus Weiß. Bei der Namensgebung für die neu entdeckte Dinosaurier-Art wurde nicht er, der Finder, geehrt, sondern der Besitzer Stark, der den Steinbruch ans Museum verpachtet hatte. Das Stück heißt deshalb heute mit wissenschaftlichem Namen »Juravenator starki«. Weiß bleibt nur die Rolle des integren Verlierers: »Es gibt ja schon einen Adlerrochen, der mit Art-Namen nach mir benannt ist.«

Klaus Weiß ist eigentlich das beste Beispiel für Citizen Science. Auch wenn er mit den neuesten Entwicklungen wenig zu tun hat. Heute vernetzen sich Bürgerwissenschaftler über das Internet mit Anderen. Ihre Schwarmintelligenz macht ungeahnte Fortschritte. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Beispiel dafür. Sie ist das größte aller Citizen- Science-Projekte. Weiß arbeitet daran nicht mit, er hat nicht mal ein Handy. Seine Geschichte zeigt aber, wie hartnäckig man als Bürger-Wissenschaftler sein muss, um gehört zu werden.

Ehrendoktor? Will er nicht

Zurück im Urzeit-Museum. Hier empfängt Weiß regelmäßig Schulklassen und erklärt ihnen seine Arbeit als Dinosaurier-Forscher. Denn auch das ist Teil seiner Mission. Er hat sich dafür extra eine umfangreiche Plastik-Dinosaurier-Sammlung zugelegt. »Die sind wahrscheinlich nicht wissenschaftlich korrekt«, sagt Weiß, aber den Kindern gefielen die quietschbunten Dinger. Zum Abschied bekommt jeder ein Fossil geschenkt. Weiß will das Erbe der Erde bewahren. Deshalb gibt er es an die Kinder weiter. Die nennen ihn ehrfürchtig den »Dino-Mann«. Einen Ehrendoktor habe man ihm für seine Leistungen angeboten. Aber Weiß habe abgelehnt. Aus Ärger über Plagiatoren und Wichtigtuer im Wissenschaftsbetrieb: »Es muss nicht sein. Ich lebe auch so.«

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